Warnung
Ich habe mir ernsthaft überlegt, meine Arbeit und Veröffentlichungen in Sachen Legal Data Science und dem Völkerrecht eine Zeit lang zu pausieren, um dem Ernst der Lage Nachdruck zu verleihen. Ich will mich aber nicht von Rechtsradikalen davon abhalten lassen, den Rechtsstaat fortzuentwickeln. Stattdessen werde ich meine Anstrengungen noch verstärken.

Überblick Link to heading

Wir unterbrechen das normale Data Science Programm für eine ernsthafte Staatskrise in der deutschen Demokratie. Wir schreiben das Jahr 2024 und die Bundesrepublik Deutschland muss sich wieder einmal, aber diesesmal die seit 1945 härteste Gretchenfrage stellen:

“Nun sag’, wie hast du’s mit den Nazis?”

Dass die Alternative für Deutschland (AfD) seit Jahren mehr und mehr menschenverachtende Ideen offen verfolgt, die Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als “gesichert rechtsextremistisch” gelten, sowie die bedeutendste Figur der Partei ein gerichtlich bestätigter Nazi und Faschist ist, ist hinreichend bekannt. Wie aber in der Legende vom Frosch, der die langsam steigende Wassertemperatur nicht bemerkt und dabei gekocht wird, hat sich in Deutschland bisher nur ein lauwarmer Konsens über das Vorgehen gegen die AfD gebildet.1

Vielfach hört man, man solle die AfD “inhaltlich stellen”. Aber wem muss man 2024 noch erklären, dass Nazis böse sind und das Grundgesetz eine “Anti-Nazi-Verfassung” (Steinbeis) ist? Die Frage, die eigentlich im Raum steht: ist der Nazi-Gehalt der AfD hoch genug, dass sie von harmlosen Spinnern zu gefährlichen Spinnern geworden sind und alle politischen und juristischen Mittel der wehrhaften Demokratie gegen sie aktiviert werden sollten?

Die Zurückhaltung der politischen Akteure rührte bislang mutmaßlich daher, dass man die AfD größtenteils als Partei der Protestwähler:innen und Establishment-Skeptiker:innen eingeordnet hat. Unzufriedenheit ist unter dem Grundgesetz erlaubt. Harte Kritik an der Regierung und ihrer Politik auch. So erlaubt es die Verfassung durchaus, sich gegen die europäische Einigung oder gegen Zuwanderung zu positionieren. Die AfD wurde einst als Anti-Euro-Partei gegründet und konnte sich lange unter diesem Deckmantel radikalisieren. Anders als die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) hat sie sich zumindest teilweise den Anschein der Bürgerlichkeit bewahrt, obwohl die Ideen und Handlungen ihrer Anhänger:innen das Gegenteil nahelegen.

In diese abwartende und unentschlossene Haltung des öffentlichen Diskurses platzt nun die neue Recherche von Correctiv: “Geheimplan gegen Deutschland”. Correctiv schreibt im Teaser:

Hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer kamen im November in einem Hotel bei Potsdam zusammen. Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland.

Damit haben wir den Siedepunkt erreicht. Es liegen nicht mehr nur Beweise für den Extremismus einzelner Landesverbände und Funktionär:innen vor, sondern ernsthafte Anzeichen, dass die Bundes-AfD und mächtige Unterstützer:innen Maßnahmen vorbereiten, die sich an den dunkelsten Zeiten des Nationalsozialismus orientieren. Veranstaltet wurde dieses Treffen ausgerechnet an einem Ort kaum acht Kilometer von der Wannseekonferenz des 20. Januar 1942, auf der einst die Deportation der europäischen Juden koordiniert wurde.

Viele meiner Kontakte mit Migrationshintergrund planen jetzt schon ihre freiwillige Auswanderung, für den Fall, dass die AfD die nächste Bundestagswahl gewinnen sollte. Was wird das mit dem Vertrauen in die Demokratie in Deutschland anrichten?

Es ist Zeit, der AfD das Handwerk zu legen und die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes gegen sie zu aktivieren. Dazu gehören das Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 GG), ggf. der Auschluss von allen Finanzierungsmöglichkeiten (Art. 21 Abs. 3 GG) und die Verwirkung von Grundrechten (inklusive der Aberkennung der Wählbarkeit und Bekleidung öffentlicher Ämter) für zentrale AfD-Funktionäre (Art. 18 GG, § 39 BVerfGG). Insbesondere ein Parteiverbotsverfahren wird nicht an denselben Gründen scheitern, wie einst die Verfahren gegen die NPD, weil V-Personen in der Führung der AfD nicht vorhanden sind und die tatsächliche Gefahr für die Umsetzung der verfassungsfeindlichen Ziele der AfD gegeben ist.

Die rechtlichen Maßnahmen müssen durch eine intensive Begleitung demokratischer Kräfte der Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft flankiert werden, weil den etablierten Parteien ansonsten das Durchhaltevermögen fehlt, vor dem BVerfG gegen die AfD vorzugehen.

Das Vertrauen in die Demokratie wird ganz überwiegend von der großen Mehrheit getragen — nicht allein von AfD-Funktionär:innen und AfD-Anhänger:innen. Das Demokratievertrauen in der Gesamtbevölkerung wird durch ein Parteiverbot nicht untergraben, sondern gestärkt.

Die Deportations-Konferenz der AfD Link to heading

Was ist geschehen? Die Redaktion des Recherchenetzwerks Correctiv berichtete am 10. Januar 2024 über ein geheimes Treffen einflussreicher Rechtsextremer, dem “Düsseldorfer Forum”, an dem auch hochrangige AfD-Politiker:innen teilnahmen. Seitdem kocht die öffentliche Diskussion in Deutschland. Lesen Sie bitte die gesamte Recherche, wenn Sie die Zeit dazu haben: Geheimplan gegen Deutschland (Correctiv 2024)

Das Treffen ist aus drei Gründen beachtenswert:

  • Formulierung eines “Masterplans” zur massenhaften Ausweisung von Asylbewerber:innen, Ausländer:innen mit Bleiberecht und deutschen Staatsbürger:innen
  • Teilnahme von hochrangigen AfD-Politiker:innen des Bundes und der Länder, Neonazis und finanzstarken Unterstützer:innen
  • Zu erwartende starke Wahlergebnisse der AfD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Jahr 2024 und bei der Bundestagswahl 2025

Der von dem bekannten Rechtsextremen Martin Sellner bei dem Treffen vorgestellte “Masterplan” hat das Ziel die “Ansiedlung von Ausländern” in Deutschland “rückabzuwickeln”. Das es dabei um die Vertreibung von Millionen Menschen geht, scheint ihm klar zu sein, wenn er von einem “Musterstaat” in Nordafrika fantasiert, in dem “bis zu zwei Millionen Menschen leben” könnnten.

Bemerkung

Der Begriff “Remigration”

Viele AfD-Akteure und die Teilnehmer:innen des Treffens nutzen den etwas possierlichen und klinisch klingenden Begriff “Remigration”. De facto handelt es sich aber um geplante Deportationen und ich sehe keinen Grund, die Begriffsspielchen der Rechtsradikalen mitzumachen.

Dass Nazis solche Ideen denken und verbreiten ist nicht neu. Der einflussreiche rechtsextreme Vorsitzende der AfD im Thüringer Landtag, Björn Hocke, hat die Idee von Massen-Deportationen bereits 2018 in einem Buch vertreten. Dass parlamentarische Mächte im Bundestag die Umsetzung vorbereiten und durch die immer besser werdenden Wahlergebnisse mutmaßlich bald in einer Position sind diese durchzuführen, ist neu und brandgefährlich.

Teilnehmer:innen an dem Treffen waren nämlich unter anderem:

Correctiv hat die gesamte Liste der Teilnehmer:innen veröffentlicht.

Rechtsextreme Tendenzen in der AfD sind seit langer Zeit bekannt und werden intern geduldet. Wenn nun die rechte Hand der Parteivorsitzenden Alice Weidel an einer Konferenz zu Massen-Deportationen teilnimmt ist das trotz aller Dementis eine Strategie, die der Parteispitze mindestens genehm ist, vermutlich aber gefördert wird. Die Äußerungen im Anschluss an das Bekanntwerden der Recherche legen nahe, dass es sich hier um eine in der Bundestagsfraktion mehrheitsfähige Position handelt. Insbesondere wird die Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy in der Recherche zitiert und “betont, dass sie das skizzierte Ziel schon länger verfolge”.

Auf Wikipedia sind Reaktionen zu dem Treffen zusammengefasst:

Der Bundestagsabgeordnete und sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion René Springer verkündete auf der Plattform X: “Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.” Auch der Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzende der AfD Bayern Stephan Protschka äußerte sich ähnlich. Gerrit Huy, die an dem Treffen teilgenommen hatte, schrieb auf X, dass die AfD sich für “Remigration” einsetze, und bezog sich auf “ausreisepflichtige Ausländer”, wies jedoch die Pläne Sellners, auch “nicht assimilierte Staatsbürger” auszuschaffen, nicht zurück.

Das wahre Gesicht der AfD ist seit vielen Jahren für jeden erkennbar der es wissen wollte. Dieses Treffen macht aber klar, dass die AfD es ernst meint und bald von Worten zu Taten wechseln will. Bevor es für die deutsche Demokratie und den Rechtsstaat zu spät ist, müssen wir eine Antwort darauf finden.

Ein Lichtblick ist denoch zu erkennen: der von Ulrich Siegmund angedeutete erhebliche Finanzbedarf der Partei ist eine Schwachstelle, an der man sie treffen kann.

Bemerkung

Gedankenexperiment: Wäre ich auf der Deportationsliste?

Auf Social Media erzählte ein Vater von einem Gedankenexperiment, bei dem sein:e Teenager:in und deren Schulklasse darüber überlegten, wer von ihnen wohl alles auf der Deportationsliste der AfD landen würde. Von der ganzen Klasse wären nur 4 (!) Schüler:innen verschont geblieben. Zunächst fanden sie es unterhaltsam, dann wurden sie still und schlussendlich wütend.

Ich kann die Geschichte nicht nachprüfen, aber sie ist plausibel. Stattdessen überlege ich einfach mal, ob ich selber auf dieser Liste landen würde. Die von Sellner geplanten Deportationen sollen folgende Menschen betreffen:

Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, “um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln”. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und “nicht assimilierte Staatsbürger”. Letztere seien aus seiner Sicht das größte “Problem”.

Wegen meinem deutschen Pass würde ich vermutlich nur unter “nicht assimilierter Staatsbürger” fallen, immerhin mit der Ehre das “größte Problem” zu sein. Was Sellner genau damit gemeint bleibt im Correctiv-Beitrag unklar, aber basierend auf den üblichen völkischen Überlegungen Rechtsextremer und den Erfahrungen aus der NS-Zeit lassen sich leicht plausible Kriterien finden. Gegen mich spricht:

  • Ausländischer Name
  • Migrationshintergrund
  • Menschenrechtler
  • Arbeit zu und Dokumentation von Völkermorden

Wir wissen aus der Geschichte, dass Bürger- und Menschenrechtler:innen gerne auf allen möglichen Listen der Staatssicherheit im Dritten Reich und der DDR geführt wurden. Auch Sellner würde gerne “alle, die sich für Geflüchtete einsetzten” zusammen mit den Geflüchteten in einen Fantasiestaat nach Afrika verbannen und hat dafür bei dem Treffen viel Zustimmung erhalten.

Mir wurde während meines Studiums in München von AfD-nahen jungen Jurist:innen auch glaubhaft versichert, dass ich “linksgrün versifft” sei (O-Ton). Ich fasse das mal unter “Menschenrechtler”, aber vielleicht ist das für die AfD auch ein ganz eigener Deportationsgrund.

Ja, ich würde vermutlich auf der Deportationsliste der AfD landen.

Nach diesem Beitrag vielleicht sogar mit priority boarding. Aber ob man im Deportationszug hinten oder vorne einsteigt ist im Ergebnis auch egal.

Politische Maßnahmen Link to heading

Die heute politische Situation ist ernst und die soziale Ungleichheit in der Bundesrepublik hoch wie seit langem nicht mehr, aber Deutschland ist nicht in der gleichen schwachen wirtschaftlichen und politischen Lage wie zwischen den beiden Weltkriegen. Die Lehren der NS-Zeit haben sich im Grundgesetz und der politischen Kultur Deutschlands erfolgreich niedergeschlagen.2 Was können wir also jetzt tun?

Einige Kommentator:innen werden behaupten, die Situation und Haltung der AfD sei nicht neu und werden deshalb suggerieren, dass es keinen Handlungsbedarf gebe, weil alles ja schon bekannt und ja auch noch nichts passiert sei. Die Deportations-Konferenz in Potsdam hat aber eine neue Qualität. Manchmal braucht man erst einen Weckruf, um zu sehen wo man steht. In den USA hat zumindest Trump versucht alles umzusetzen, was er angekündigt hat, inklusive einem Staatsstreich. Und manchmal ergibt sich erst durch die Dringlichkeit von neuen Ereignissen ein Handlungsfenster für die Politik. Dieses Fenster ist jetzt.

Je höher der öffentliche Druck wird, desto eher werden abwartende Politiker:innen ihre Meinung ändern und desto einfacher wird es auch für handlungsbereite Politiker:innen die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Selbst streng formal anmutende rechtliche Maßnahmen (siehe nächster Abschnitt) sind im Verfassungsrecht hochpolitisch und können nur Erfolg haben, wenn die Bevölkerung dahinter steht und der Politik den Rücken stärkt.

Insbesondere die Einleitung und erfolgreiche Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens wird ganz maßgeblich von der öffentlichen Unterstützung abhängen.

Öffentlicher Druck lässt sich auf viele Arten aufbauen:

  • Organisation und Teilnahme an Demonstrationen
  • Schriftlicher und persönlicher Kontakt mit Abgeordneten des Bundes und der Länder
  • Einer demokratischen Partei beitreten und aktiv (!) werden
  • In öffentlichen Stellungnahmen Position beziehen, wie es die juristischen Verbände getan haben
  • Auf Social Media klare Kante zeigen
  • Die Petition zum AfD-Verbot unterschreiben
  • Im persönlichen Gespräch im beruflichen und privaten Umfeld deutlich machen, dass die Positionen der AfD die Demokratie und Menschenrechte untergraben

So eine Liste ist schnell geschrieben und klingt edel, aber die praktische Umsetzung ist hart. Klare Kante zu zeigen kostet Zeit, Geld und Freundschaften.

Das politische Establishment kann sich auch daran beteiligen und einmal über ihre Prioritäten nachdenken. Man bekommt aus konservativen Kreisen manchmal den Eindruck, dass sie die Grünen für den eigentlichen Staatsfeind halten und mehr Schnittmengen mit der AfD als mit der Demokratie sehen. Dass die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss in Bezug auf die Werteunion vorantreibt ist auf jeden Fall zu begrüßen.

Rechtliche Maßnahmen Link to heading

Die Bundesrepublik Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie und das Grundgesetz spiegelt dies wider. Die Lehren aus dem Untergang der Weimarer Republik und dem Aufstieg der Nationalsozialisten haben sich vielen rechtlichen Verfahren und organisatorischen Regelungen niedergeschlagen, damit Verfassungsfeinden das Handwerk gelegt werden kann, bevor sie die Demokratie abschaffen.3 Die drei wichtigsten Instrumente sind:

  • Parteiverbot
  • Ausschluss von der Parteienfinanzierung
  • Verwirkung von Grundrechten

Parteiverbot Link to heading

Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz

Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

Das Parteiverbot ist das “schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde” und nur für den äußersten Notfall vorgesehen. Grundsätzlich sollten die Selbstheilungskräfte einer Demokratie stark genug sein, um verfassungsfeindliche Bestrebungen im regulären Meinungsaustausch zu erkennen und zu unterbinden. Wenn der Markt der Ideen aber versagt und der Demokratie selbst Gefahr droht, können Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung einen Verbotsantrag stellen, über den nur das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit einer 2/3-Mehrheit entscheiden kann. Dadurch wird das Parteiverbot parteipolitischer Streitigkeiten entzogen.

In der Geschichte der Bundesrepublik wurden bisher nur zwei Parteien verboten:

Bei jeder Erwähnung des Parteiverbots sind die Erfolgsaussichten das wichtigste Thema und es wird immer sofort ein Zusatz beigefügt, der von den “hohen Hürden” spricht. Das ist insoweit richtig und in der Vergangenheit war das Parteiverbotsverfahren nur in diesen wenigen Fällen erfolgreich. Insbesondere das Scheitern mehrere Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)4 hat viele Politiker:innen ängstlich werden lassen.

Erfolgsaussichten Link to heading

Deshalb ist es wichtig, sich die vom Grundgesetz und BVerfG aufgestellten Voraussetzungen genau anzusehen. Die NPD-Verfahren sind aber aus sehr konkreten Gründen gescheitert, die beide bei der AfD nicht zutreffen. Das Parteiverbot hat unter anderem folgende Voraussetzungen, die das BVerfG im zweiten NPD-Urteil deutlich herausgearbeitet hat:

  1. Parteienstatus
  2. Staatsfreiheit
  3. Beeinträchtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung5
  4. “darauf Ausgehen” (Potentialität)6

Der Parteienstatus als Voraussetzung des Parteiverbots klingt selbstverständlich, ist aber erwähnenswert, weil die Verfahren gegen die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) und die Nationale Liste (NL) vor dem BVerfG scheiterten, weil ihnen die Parteieigenschaft fehlte. Sie wurden im Anschluss als reguläre Vereine eingestuft und verboten.

Die Staatsfreiheit führte zum Scheitern des ersten Verbotsverfahrens gegen die NPD, weil im Bundesvorstand und den Landesvorständen der NPD jeweils ein bis zwei V-Personen des Verfassungsschutzes platziert waren.7 Es war nicht mehr klar, ob die Partei selbst verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgte oder diese von den Sicherheitsbehörden beeinflusst oder gar gelenkt wurden. Man kann nur hoffen, dass der Verfassungsschutz aus seinen Fehlern gelernt hat, aber beim zweiten NPD-Verfahren war die Staatsfreiheit kein Hinderungsgrund mehr.

Die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch die AfD wird den Kern eines Verfahrens gegen sie bilden. Dabei gilt es hinter den bürgerlichen Anstrich zu blicken und die wahren Absichten freizulegen. Das BVerfG hat diese Voraussetzung im zweiten NPD-Urteil konkretisiert:

Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG umfasst nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.

a) Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit.

b) Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).

c) Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist.

BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, Leitsatz Nr. 3

Dass die (faktischen) Ziele und die Anhänger der AfD sich insbesondere gegen die Menschenwürde richten ist immer wieder durch Äußerungen und Handlungen von Parteikadern und Unterstützer:innen klar geworden. Der “Masterplan” der Deportations-Konferenz im November 2023 unter Beteiligung von AfD-Politiker:innen auf Bundesebene richtet sich ganz konkret gegen die personale Individualität, Identität, Integrität und die elementare Rechtsgleichheit von Menschen. Zudem gibt es eine Reihe an Dossiers über die Aktivität der AfD, die den Erfolg eines Verbotsverfahrens nahelegen:

Die Voraussetzung des “Ausgehens” (Potentialität) unterstreicht den Ausnahmecharakter des Parteiverbots. Deshalb verlangen sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Mindestgefährlichkeit einer Partei. Das zweite Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte, weil sie zu dem Zeitpunkt des Verfahrens schon so viel an Bedeutung und Wählerstimmen eingebüßt hatte, dass eine Umsetzung ihrer Pläne auf lange Zeit nicht mehr realistisch war. Sie waren zwar Spinner, aber “harmlos”. Das BVerfG fordert konkret:

a) Ein solches „Ausgehen“ setzt begrifflich ein aktives Handeln voraus. Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot. Notwendig ist ein Überschreiten der Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Partei.

b) Es muss ein planvolles Vorgehen gegeben sein, das im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder auf die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist.

c) Dass dadurch eine konkrete Gefahr für die durch Art. 21 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter begründet wird, ist nicht erforderlich. Allerdings bedarf es konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen.

d) Die Anwendung von Gewalt ist bereits für sich genommen hinreichend gewichtig, um die Annahme der Möglichkeit erfolgreichen Agierens gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG zu rechtfertigen. Gleiches gilt, wenn eine Partei in regional begrenzten Räumen eine “Atmosphäre der Angst” herbeiführt, die geeignet ist, die freie und gleichberechtigte Beteiligung aller am Prozess der politischen Willensbildung nachhaltig zu beeinträchtigen.

BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, Leitsatz Nr. 6

Allein die Deportationskonferenz im November 2023 sollte die Annahme eines solch planvollen Vorgehens schon begründen. Die Atmosphäre der Angst sieht man in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt schon länger, seit der November-Konferenz ist sie im ganzen Land bei Mitbürger:innen mit Migrationshintergrund angekommen.

Was das Potenzial der AfD zur Umsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen angeht reicht aber ein Blick auf die aktuellen Wahlergebnisse und Umfragen. Die ZEIT nannte am 11. Januar 24 folgende Umfragewerte:

  • 24% auf Bundesebene
  • 36% in Thüringen
  • 34% in Sachsen
  • 32% in Brandenburg

Zum Vergleich die Ergebnisse der NSDAP während ihrem Aufstieg zur Macht in den 1930ern:

Wahl Ergebnis der NSDAP
14. September 1930 18,3 %
31. Juli 1932 37,4 %
6. November 1932 33,1 %
5. März 1933 43,9 %

Deshalb ist auch Eile geboten: es wird einen Punkt geben, an dem eine Partei politisch zu stark ist und nicht mehr durch rechtliche Verfahren, beispielsweise ein Parteiverbot, eingefangen werden kann. Die tragische Saga um das polnische Verfassungsgericht in der Verfassungskrise Polens ab 2015 zeigt, wie schnell die Macht eines höchstes Gerichts von einer feindseligen parlamentarischen Mehrheit dauerhaft zerstört werden kann.

Parteiverbot als Missachtung des Wählerwillens? Link to heading

Die Missachtung des Wählerwillens ist in einer Demokratie ein starkes Argument. Nun ist es aber so, dass auch der Wählerwille den Nazi nicht heiligen kann. Das Grundgesetz ist ein offener Gegenentwurf zum Nationalsozialismus und steht der NSDAP und ihr ähnlichen Parteien strikt entgegen, ganz gleich wie hoch ihr politischer Einfluss ist.

Solange die Verfassung gilt, sind auch starke Wahlergebnisse keine Rechtfertigung für Nazi-Politik. Man sollte sich dabei in Erinnerung rufen, dass die NSDAP in der Wahl vom 14. September 1930 ähnliche Ergebnisse wie die AfD heute erreichte und dies wohl einer der letzten möglichen Zeitpunkte für ein Parteiverbot gewesen wäre.

Die Geschichte hat auch schlussendlich gezeigt, dass Inhalte und die Wahlurne nicht genug waren, um die NSDAP zu stellen.

Was ist aber nun, wenn ein Großteil der AfD-Wähler eben nicht so extremistisch sind wie die AfD-Parteikader und durch ein Parteiverbot ihr Vertrauen in die Demokratie verlieren, weil ihr Wählerwille missachtet wird?

Ich denke aber auch hier ist ein Vergleich mit der Weimarer Republik sinnvoll. Die frühen Wähler:innen der NSDAP waren in der Mehrheit nicht alles stramme Nazis, sondern weitgehend normale Bürger:innen ihrer Zeit (was aus heutiger Sicht fragwürdige Moralvorstellungen einschließt). Nach den schlechten Wahlergebnissen der NSDAP bei der Reichtstagswahl 1928 “erging die Weisung an alle Parteigliederungen, in ihrer Propaganda den Antisemitismus zurückzuschrauben, der vor allem auf bürgerliche Kreise abschreckend wirkte”. Durch regierungskritische Wirtschafts- und Außenpolitik und leiseren Antisemitismus konnte die NSDAP Bauern, Handwerker, Einzelhändler, Studenten und Beamte für sich gewinnen, die ihr schlussendlich zu den kritischen Wahlerfolgen verhalfen. Die AfD verfolgt auf Bundesebene eine ähnliche Strategie.

Um die Demokratie vor den gefährlichsten Parteien zu schützen ist die Enttäuschung von normalen Wähler:innen durch ein Parteiverbot unausweichlich. Es ist allerdings eine völlig offene Frage, ob durch den Verzicht auf ein Parteiverbot die Wähler:innen ihr Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen werden. Oder wird der andauernde negative Einfluss der AfD auf ihre Anhänger:innen deren Demokratievertrauen stattdessen vollends zerstören? Ich halte den andauerenden Einfluss der AfD auf ihre Anhänger:innen für gefährlicher als ein Parteiverbot. Möglicherweise stehen die AfD-Wähler:innen auch tatsächlich voll hinter den extremen Positionen der Partei.

Schließlich darf eines nicht vergessen werden: es ist nicht nur das Demokratievertrauen der AfD-Anhänger:innen von Bedeutung, sondern vielmehr noch das Demokratievertrauen der verbleibenden großen Mehrheit der Bevölkerung. Sollte ein Verbotsverfahren trotz weiterhin ernsthafter verfassungsfeindlicher Bestrebungen der AfD ausbleiben, so würde die demokratische Mehrheit — der eigentlicher Stützpfeiler der Demokratie — das Vertrauen in die deutsche Demokratie verlieren.

Viele meiner Kontakte mit Migrationshintergrund planen jetzt schon ihre freiwillige Auswanderung, für den Fall, dass die AfD die nächste Bundestagswahl gewinnen sollte. Was wird das mit dem Vertrauen in die Demokratie in Deutschland anrichten?

Steigerung des Mobilisierungspotenzials der AfD in der Opferrolle? Link to heading

Die Gefahr des Martyriums der AfD wird oft ins Feld geführt. Hier würde die AfD das mutmaßlich Jahre lang laufende Verfahren propagandistisch ausschlachten und sich als Opfer darstellen, um bei Wahlen und Abstimmungen Sympathien und Stimmen zu gewinnen. Aber auch der Ausgang des Verfahrens könnte ein Pyrrhus-Sieg sein: in der Variante des Erfolgs könnte er die völkische Bewegung stärken und sie in den (bewaffneten) Untergrund drängen, in der Variante des Misserfolgs würde die AfD zusätzlich zur Opferrolle auch die Siegerrolle einnehmen und das Scheitern des Verbotsverfahrens als “Siegel der Unbedenklichkeit” in Anspruch nehmen.

Die Ausschlachtung der Opferrolle ist eine klassische Strategie faschistischer Parteien und ihre Wirkung beachtlich. Dennoch nimmt die AfD die Opferrolle seit knapp 10 Jahren bereits erfolgreich ein, weil ihr die öffentliche Diskussion beständig und berechtigt die Rolle der rechtsradikalen Außenseiterin zuweist. Vermutlich könnte die AfD ihr Mobilisierungspotenzial noch etwas steigern und ihre Anhänger:innen könnten sich noch etwas ungerechtfertigter behandelt fühlen, aber womöglich ist das Potenzial auch schon weitgehend ausgereizt.

Im Gegenzug kann ein ernsthaft geführtes Parteiverbotsverfahren das Mobilisierungspotenzial der AfD auch schwächen, wenn in öffentlichen Anhörungen vor Gericht klar wird, wie rechtsradikal sie wirklich ist. Wie damals bei der NSDAP dürften viele Wähler:innen von harten rechtsradikalen Positionen abgeschreckt sein und das Verfahren könnte eine Neubewertung ihrer Position erzwingen. So erreichte die NPD nach dem handwerklich miserablen ersten Verbotsverfahren 2003 zwar stärkere Wahlergebnisse im Bund, verlor aber nach dem Beginn des sachlich starken zweiten Verbosverfahrens mehr als 2/3 ihrer Wählerschaft (Wahlergebnisse auf Wikipedia).

Die Einstufungen der AfD durch die Verfassungsschutzbehörden als Prüffall oder “gesichert rechtsextremistisch” durch öffentliche Quellen sind fachlich hilfreich, aber der Verfassungsschutz bleibt Geheimdienst und genießt nicht ansatzweise das gleiche Vertrauen wie das in einem Verbotsverfahren entscheidende Bundesverfassungsgericht. Es ist leichter sich als Opfer eines Geheimdienstes zu stilisieren, denn als Opfer des mit viel Vertrauen bedachten höchsten deutschen Gerichts.

Schlussendlich ist das Mobilisierungspotenzial der demokratischen Mehrheit von überragender Bedeutung. Wer soll noch für die deutsche Demokratie eintreten wollen, wenn der AfD freie Hand gelassen wird? Soll man lieber kämpfen oder sich um die Auswanderung kümmern, solange man noch kann? Die Entscheidung zwischen den Optionen wird für viele Demokraten maßgeblich davon abhängen, ob klare Kante gegen die AfD bezogen wird, oder ob sie die deutsche Demokratie im Herzen schon für verloren aufgegeben haben.

Ausschluss von der Parteienfinanzierung Link to heading

Art. 21 Abs. 3 Grundgesetz

Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

Der Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung und der steuerlichen Begünstigung ist eine direkte Folge des zweiten NPD-Urteils. In diesem hatte das BVerfG die Verfassungswidrigkeit der NPD explizit festgestellt, aber auf ein Verbot wegen der fehlenden tatsächlichen Gefahr (Potentialität/Ausgehen) verzichtet.

Die Streichung der finanzielle Begünstigung einer Partei erfolgt unter den gleichen Voraussetzungen wie das Parteiverbot, nur das hier das Kriterium “Ausgehen” nach dem Wortlaut des Grundgesetzes nicht erforderlich ist.

Das Finanzierungsverbot ist eine ernstzunehmende Alternative zum Parteiverbot, wenn die Gefahr einer Partei nicht deutlich genug belegt werden kann. Weil das Verfahren noch neu ist und erst einmal eingesetzt wurde, ist unklar, ob man es als Hilfsantrag in einem Verbotsverfahren mitverfolgen könnte, sodass ein Finanzierungsverbot ausgesprochen wird, wenn der Verbotsantrag scheitert.

In einem möglichen AfD-Verfahren wäre es aber wahrscheinlich sinnvoll, hilfsweise Antrag auf Finanzierungsverbot zu stellen oder parallel einen entsprechenden Antrag zu stellen und die Verfahren verbinden zu lassen. Weil die praktische Umsetzungsgefahr der Ziele der AfD aber hoch ist, hat es im Ergebnis voraussichtlich keine eigenständige Bedeutung, falls das “Ausgehen” bejaht wird (vieles spricht dafür) und das Merkmal die “die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden” in Absatz 3 des Art. 21 GG genau streng gehandhabt wird wie in Absatz 2 (vieles spricht auch hierfür).

Wenn ich mich nicht irre, ist das Urteil des BVerfG in Sachen NPD-Finanzierungsverbot im Januar 2024 noch nicht gesprochen worden. Zuletzt fand im Juli 2023 eine mündliche Verhandlung dazu statt.

Die Haltung der AfD zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist auch für die Finanzierung der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) relevant. Nach einer Kritik des BVerfG wurde das Stiftungsfinanzierungsgesetz (StiftFinG) geschaffen, demzufolge die DES aktuell mindestens deswegen von der Finanzierung ausgeschlossen ist, weil die AfD noch nicht zweimal in Folge in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten war (§ 2 Abs. 2 StiftFinG).

§ 2 Abs. 3 StiftFinG stellt auf den Ausschluss der Mutterpartei von der Parteifinanzierung ab. Bei Scheitern eines Parteiverbots wäre aber vor allem § 2 Abs. 4 StiftFinG relevant, der ein aktives Eintreten für die “freiheitliche demokratische Grundordnung sowie für den Gedanken der Völkerverständigung” verlangt. Dies ist strenger als die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 und 3 GG.

Verwirkung von Grundrechten Link to heading

Art. 18 Grundgesetz

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.

Die Verwirkung von Grundrechten ist das personale Gegenstück zum Parteiverbot. Statt eine Partei von der demokratischen Willensbildung auszuschließen, trifft der Ausschluss eine Einzelperson. Die Verwirkung von Grundrechten ist vom Grundgesetz auf sehr konkrete politische Grundrechte beschränkt, so kann insbesondere die körperliche Unversehrtheit oder das Grundrecht auf Leben nicht ausgesetzt werden — es kann keine Rettungsfolter geben. Die Todesstrafe ist nach Art. 102 GG ohnehin ausnahmslos verboten.

Der Einsatz der Grundrechtsverwirkung gegen führende Figuren der AfD wurde im Oktober 2023 von Gertrude Lübbe-Wolff, ehemaliger Bundesverfassungsrichterin und aktuell Professorin für Öffentliches Recht, in einem Beitrag für den Verfassungsblog ins Spiel gebracht.

Ein Vorteil der Grundrechtsverwirkung sei ein schnelleres Verfahren, weil die Ermittlungen weniger umfangreich wären. Wegen der Seltenheit dieser Verfahrensart in der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik ist das schwierig zu beurteilen, aber wenn eine ehemalige Richterin des Zweiten Senats diese Ansicht vertritt, wird das plausibel sein.

Ich halte Verfahren zur Verwirkung von Grundrechten, insbesondere gegen Björn Höcke und Teilnehmer:innen des November-Deportationskonferenz, für grundsätzlich sinnvoll, aber bei weitem nicht für ausreichend. Allein der Verlust von Grundrechten hindert AfD-Größen nicht daran, im Hintergrund weiter die Strippen zu ziehen. Auch werden dadurch keine neuen Straftatbestände geschaffen: strafbare Sprechakte oder Gewalthandlungen waren schon zuvor strafbar und werden durch den Verlust von Grundrechten nicht strafbarer als zuvor.

Allerdings kann das BVerfG den Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts aussprechen, sowie die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkennen (§ 39 Abs. 2 BVerfGG). Vor allem aus diesem Grund lohnt es sich, die Grundrechtsverwirkung anzustrengen.

Anmerkung: Die Verwirkung von Grundrechten kann gegen aktive Bundestagsabgeordnete wegen Art. 46 Abs. 2 GG nur mit Genehmigung des Bundestages ausgesprochen werden.

Zusammenfassung Link to heading

Die Alternative für Deutschland (AfD) verfolgt seit Jahren offen menschenverachtende Ideen, die Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gelten als “gesichert rechtsextremistisch” und die bedeutendste Figur der Partei ist ein gerichtlich bestätigter Nazi und Faschist. Die Verfassungsfeindlichkeit der AfD ist durch viele Materialsammlungen, insbesondere von Cremer (2023) gut belegbar. Die auf einer von Correctiv aufgedeckten Konferenz im November 2023 unter Beteiligung von hochrangigen AfD-Vertreter:innen geplanten millionenfachen Deportationen sind der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Nun öffnet sich aber auch ein politisches Handlungsfenster.

Es ist Zeit, der AfD das Handwerk zu legen und die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes gegen sie zu aktivieren. Dazu gehören das Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 GG), ggf. der Auschluss von allen Finanzierungsmöglichkeiten (Art. 21 Abs. 3 GG) und die Verwirkung von Grundrechten (inklusive der Aberkennung der Wählbarkeit und Bekleidung öffentlicher Ämter) für zentrale AfD-Funktionäre (Art. 18 GG, § 39 BVerfGG). Insbesondere ein Parteiverbotsverfahren wird nicht an denselben Gründen scheitern, wie einst die Verfahren gegen die NPD, weil V-Personen in der Führung der AfD nicht vorhanden sind und die tatsächliche Gefahr für die Umsetzung der verfassungsfeindlichen Ziele der AfD gegeben ist.

Die rechtlichen Maßnahmen müssen durch eine intensive Begleitung demokratischer Kräfte der Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft flankiert werden, weil den etablierten Parteien ansonsten das Durchhaltevermögen fehlt, vor dem BVerfG gegen die AfD vorzugehen.

Das Vertrauen in die Demokratie wird ganz überwiegend von der großen Mehrheit getragen — nicht allein von AfD-Funktionär:innen und AfD-Anhänger:innen. Das Demokratievertrauen in der Gesamtbevölkerung wird durch ein Parteiverbot nicht untergraben, sondern gestärkt.


  1. Die Geschichte vom langsam gekochten Frosch ist eine Legende ohne Wahrheitsgehalt. Auch Frösche springen aus dem Wasser, sobald es ihnen zu heiß wird. ↩︎

  2. Wenn in der politischen Kultur auch mit einiger Verzögerung durch die Zeit vor 1968. ↩︎

  3. Präventive organisatorische Regelungen sind beispielsweise die Schaffung von Landes- und Bundesbehörden für den Verfassungsschutz, faktisch als Inlandsgeheimdienste. Geheimdienste sind aus vielen Gründen problematisch, aber es wäre noch viel gefährlicher deren Aufgaben auf die reguläre Polizei zu übertragen, so wie es während dem Nationalsozialismus üblich war und zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) führte. Das die Weimarer Republik zumindest verfassungsrechtlich nicht so schutzlos war wie gemeinhin angenommen beschreibt Professorin Gertrude Lübbe-Wolff knapp und eindrücklich in diesem Beitrag für das Verfassungsblog↩︎

  4. Nach einer Umbenennung heißt die NPD nun “Die Heimat”. ↩︎

  5. Alternativ würde auch die Gefährdung des “Bestands der Bundesrepublik Deutschland” für ein Parteiverbot ausreichen. Das bezieht sich aber vor allem Separatisten, die einen Gebietsteil abspalten wollen oder die Abschaffung der Republik insgesamt. Bei aller Kritik an der AfD scheint sie jedenfalls nicht daran interessiert zu sein. ↩︎

  6. Die im KPD-Verbotsurteil erwähnte “aggressiv-kämpferische Grundhaltung” ist nach der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG vermutlich Teil der Potentialität. Jedenfalls ist sie in Art. 21 Abs. 2 GG nicht erwähnt und das BVerfG hat im zweiten NPD-Urteil festgestellt, dass für “die Annahme ungeschriebener Tatbestandsmerkmale (…) im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG kein Raum” ist (siehe BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017, 7. Leitsatz). ↩︎

  7. Siehe BVerfGE 107, 339 (361 ff)↩︎